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Die Sage vom Gral

Nach einer Ohnmacht sah ich benommen
schreckliche Schemen, in Zweifelsqual,
war mir, als hätte ich Stimmen vernommen,
träumend die Sage vom Gral.

*

Hoffnung und Kühle ist in dem Grale,
Gral ist Juwel mit seltsamem Schein,
ist prophezeit von Sybille und Vale.
Gral ist der Weisen Stein.

Gral ist ein Kelch aus Smaragd, dem entflossen
einstmals des Lebens sprudelnder Wein,
und die Labsal nun hat umschlossen,
schließt als Rubin in sich ein.

Kraft von Smaragd und Rubin ist im Grale,
gleich aus den beiden sein Wesen entstammt,
grün wie die Hoffnung mit glimmendem Strahle,
rot wie die Liebe, die lodernd erflammt.

Kraft saugt der Gral aus Höhen und Gründen,
ganz macht er wieder, was vorher geteilt,
bringt die Erlösung von Qualen und Sünden,
und was gebrochen, von ihm wird geheilt.

Gral läutert Laster zu sittsamer Tugend,
macht, daß die Untat Gutes nur tut,
zündet im All die Sonne der Jugend,
Gral macht die Schuld wieder gut.

Hoch in des Himmels glänzenden Hallen,
weit in des Totenreichs schummrigem Tal,
tief bis in Hyle, wo Tierschreie schallen
sucht man den heiligen Gral.

Ist er dort oben, im Reiche des Reinen,
das jeder Sterbliche sehnend erheischt,
oder hier unten, wo Elende weinen,
bitter vom Himmel enttäuscht?

Keiner weiß, wo er ruht im Gewimmel,
Kelch wird er wieder, wie Weise gesagt,
wenn einst ein Mann stürmt Hölle und Himmel
furchtlos und unverzagt;

der in den Hades hinabsteigt, zu wecken
Schläfer mit Botschaft des Lichts aus dem Tod,
den, der in Hyle besiegt alle Schrecken,
löscht heißen Haß gegen Gott,

er, den Gott und der Satan lieben,
der weder Gott noch Satan flieht,
der, den die Höllenheere umstieben,
der zu den Sternen zieht,

er, der bezähmt selbst die himmlischen Scharen,
für die Verdammten die Liebestat wagt,
vor dem Abgrund sie zu bewahren:
Er findet den Wein im Smaragd;

stark in der Liebe ist der Gerechte,
fordert die Gottheit und Höllengroll,
alle umarmt er  –  er ist der rechte
Held, der einst kommen soll.

*

Und meine Seele, im Zweifel befangen,
widerstand den Mächten der Qual,
da die Gedanken wundersam sangen
in mir die Sage vom Gral.

 



 Gustaf Fröding, Schilf, Schilf, rausche. Ausgewählte Gedichte
 übersetzt von Klaus-Rüdiger Utschick, ©1999